Hauptmann Ernest Edlmann - Flucht durch die Kanalisation

Ernest Edlmanns Vorfahren väterlicherseits stammten aus Kärnten. Am 29. Mai 1940 geriet er als damals 26-jähriger Hauptmann bei Dünkirchen in Gefangenschaft, die ihn über das Durchgangslager Mainz (s. Postkarte v. 13.06.1940) nach Laufen (bei Berchtesgaden) führte. Danach war er bis September 1942 in Warburg, anschließend in Eichstätt (Niederbayern). Ab 1. Juli 1943 war die Jakob-Grimm-Schule in Rotenburg das ihm zugewiesene Domizil. „Die Räumlich-keiten dort waren viel besser als in den bisherigen Gefangenenlagern“, schrieb er im Oktober 2009.

 

In Briefen an seine Mutter klagte Edlmann über die räumliche Enge in der JGS, vor allem auf dem Hof. „Dafür aber gibt es einen großartigen Ausgleich. Wir haben mindestens zweimal in der Woche Ausgang auf Ehrenwort (ohne Wachen!), etwa 5 km hin und zurück, und können dabei in der Fulda baden. Das Getreide, die Blumen, der Duft des Heus, die Vogelwelt - was wir bei diesen Spaziergängen erleben, kann ich nicht in Worte fassen.“ (11.07.1943)

 

Begeistert berichtete er seiner Mutter am 23. April 1944 von seiner Zugehörigkeit zu einer Zwölfergruppe, die drei Tage lang von früh bis spät zum Einsatz beim Bau des Wohnhauses für Pfarrer G. Celander [schwedischer YMCA-Pfarrer und Rot-Kreuz-Aktiver] kamen. Er selbst war als Übersetzer dabei, ein Neuseeländer und ein Australier hatten die Bauleitung. „Ich kann nicht in Worte fassen, was mir die drei Tage bedeutet haben, an denen ich zehn Stunden lang un-unterbrochen ein normales Leben führen konnte.“

 

Die im weiteren Verlauf des Jahres 1944 verfassten Briefe klingen weniger optimistisch. Am 26. Oktober 1944 schrieb er: „An meinem Gewicht hat sich seit Sommer 1940 nicht viel verändert. Aber Kameraden, die ein gutes Gewicht mitbrachten, werden ihrer Verwandtschaft einen argen Schock versetzen. Sie sind alle um Jahre gealtert, viele haben graue Haare oder sind glatzköpfig geworden, hauptsächlich betrifft das die über 40-Jährigen. Ich bewege mich kaum noch, laufe nur noch mal im Hof herum, seitdem die Essensrationen nur noch halb so groß sind.“  

 

Edlmann brachte gute Deutschkenntnisse mit, sodass er den Rotenburger Mitgefangenen regelmäßig Übersetzungen der deutschen Tagespresse liefern konnte – als Ergänzung zu den Sendungen des BBC, die die Gefangenen in der JGS über ein geheimes Radio hörten. Der englischsprachige BBC-Empfang war nicht immer gewährleistet, sodass Edlmann den Auftrag hatte, dieses Defizit durch Abhören des deutsch-sprachigen BBC-Programms zu kompensieren. 

 

Am 3. April 1945, dem 6. Tag des Evakierungsmarsches aus dem Rotenburger Gefangenenlager, versteckte er sich mit Hauptmann F. Corfield in der Nähe von Dachrieden (8 km nördlich von Mühlhausen)

in der Kanalisation. Bei den Fluchtvorbereitungen hatte sie der holländische Zwangsarbeiter Henrik-Gerrit Moen unterstützt, in Dachrieden erlaubte ihnen die Familien Hesse und Langhammer ein Scheunenversteck.

 

Schon am nächsten Tag gelangten sie in die Obhut der einrückenden US-Army und konnten ihre Heimreise antreten. Auf dem fünftägigen Trip zur Zwischenstation Brüssel standen sie mehrfach vor dem Problem, ihre Identität nachzuweisen. Am 10.04.1945 waren Edlmann und Corfield zuhause.

 

Ernest Edlmann nahm nach dem Krieg wichtige militärische Positionen wahr, darunter auch die eines Adjutanten von Feldmarschall Montgomery; mit diesem zusammen in Kopenhagen ist Ernest Edelmann (links) auf dem Foto oben rechts zu sehen.

 

Die Tageszeitung Daily Telegraph  würdigte den 1950 zum Oberstleutnant beförderten Ernest Edelmann mit einem vierspaltigen Nachruf (s. Kopie oben).

 

Die Originale der Briefe (rechte Tafelseite) an seine Mutter liegen uns in Originalversion vor, ebenso die

darunter platzierten Dokumente: Auflistung dessen, was den Kriegsgefangenen verboten ist („prohibited items“) und Gutschein über 2 Reichsmark, den Edlmann aus der Gefangenschaft mit nach Hause nahm.

 

1945 wurde Edlmann mit dem Military Crosss ausgezeichnet, 1970 mit dem O.B.E. (Officer of the British Empire).

 

Die Porträtzeichnung (oben links) stammt von dem Mitgefangenen Major Aubrey Davidson-Houston, der nach dem Krieg ein bedeutender Porträtmaler wurde (s. Times-Nachruf).