Jakob-Grimm-Schule in Rotenburg an der Fulda von 1939 bis 1945: "Hochschule hinter Stacheldraht"

 

Hochschule hinter Stacheldraht

 

Neben dem Schauspiel war die Bildende Kunst ein Bereich, in dem die Kriegsgefangenen auf kreative Weise der Eintönigkeit des Lageralltags entfliehen konnten. In Rotenburg boten sich den Zeichnern und Malern insofern günstige Bedingungen, als sie Teile des Dachbodens in dem Gebäudetrakt über der alten Turnhalle als Atelier benutzen durften und mit John McIndoe einer der vier offiziellen neuseeländischen Kriegsmaler als Dozent zur Verfügung stand. Von ihm stammen die beiden Bilder mit aktiven Malgruppen (s. linke Seite).

 

Noch stärker war das Lagerleben von akademischen Studien bestimmt. Unter den Reserveoffizieren gab es eine Reihe von Wissenschaftlern, die Lehrveranstaltungen anboten und prüfungsberechtigt waren. Der große Speisesaal stand außerhalb der gemeinsam eingenommenen Mahlzeiten als Studier- und Leseraum zur Verfügung, daneben war ein kleinerer Raum als stän-diges Studierzimmer eingerichtet.

 

Für das Lehrmaterial und die Weiterleitung der Prüfungsleistungen an britische Hochschulen sorgte das Internationale Ro-te Kreuz von seinem Sitz in Genf aus. Die Hauptleute Alec Ritchie (s. Karikatur) und Dick Page waren für die Betreuung der umfangreichen Bibliothek zuständig. Deren Standort war auf Regalen in der 3. Etage vor der Aula. Björn-Ulf Noll, dessen Vater 1943 als Lehrer an die JGS kam, schätzt den Buchbestand, den er im April 1945 zu Gesicht bekam, auf über 5.000 Bände. Sie wurden nach Kriegsende in der 1934 oberhalb des Schulgeländes durch einen Erdfall entstandenen riesigen Grube ent-sorgt, in der 1945 auch der mächtige Stacheldrahtverhau des Lagers verschwand.

 

Einzelne Gefangene nutzten den Lageraufenthalt hartnäckig für ihre akademi-sche und berufliche Aus- und Weiterbildung. Bekannt wurde dies u. a. dadurch, dass Captain Frederick Corfield davon Gebrauch machte und auf diese Weise ein Juradiplom erwarb. Er gelangte nach dem Krieg ins britische Unterhaus und krönte seine politische Karriere mit der Berufung als Minister für Luftfahrt.

 

Profiliertester Dozent war der Rechtswissenschaftler Charles Hamson (Porträts oben rechts), der im Lager mit dem Namenszusatz „Prof“ angesprochen wurde. Nach dem Krieg kehrte er an die Eliteuniversität Cambridge zurück, wo er sich den Ruf eines Experten für Internationales und Vergleichendes Recht erwarb.

 

Beispielhaft für überragende Forschungsleistungen sei Peter Conder genannt, der über knapp zwei Jahre die Vogelwelt in der unmittelbaren Umgebung der Jakob-Grimm-Schule akribisch studierte. Er war schon im Juni 1940 in Frankreich in Gefangenschaft geraten. Peter Conder, der spätere oberste Vogelschützer des britischen Königreichs als Direktor der Royal Society for the Protection of Birds), kam im Juli 1943 nach Rotenburg und setzte hier seine bereits in den Oflags Biberach und Dössel (bei Warburg) begonnenen systematischen Studien der lokalen Vogelwelt fort:  mehr zu Peter Conder auf der Tafel nebenan.

 

Die Zeichnung links unten deutet an, wie hartnäckig die in der JGS gefangenen Offiziere ihren Studien nachgingen.

 

Der große Speisesaal stand außerhalb der gemeinsam eingenommenen Hauptmahlzeiten als Studier- und Leseraum zur Verfügung, daneben war ein kleinerer Raum als ständiges Studierzimmer eingerichtet.