Mit Kneifzange durch den Stacheldraht 

 

In der zweiten Aprilwoche 1944 notierte Leutnant John Logan in seiner Lagerchronik den vergeblichen Versuch eines britischen Luftwaffenoffiziers, mit einer Zange den Stacheldraht zu durchschneiden, um so aus dem Lager herauszukommen. 

 

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Hadelin Denis: fünf erfolglose Fluchtversuche

 

Einen Fluchtversuch in der von John Logan beschriebenen Art hatte der belgische Leutnant Hadelin Denis schon im Juni 1942 vergeblich unternommen; er war schon außerhalb des Drahtverhaus, als ein Wachhund auf ihn aufmerksam wurde.

 

Im Dezember 1941 versteckte sich Denis in einem Sack mit schmutziger Wäsche, um sich auf ein Fahrzeug werfen zu lassen. Er wurde aber entdeckt und auf dem Hof durch Fußtritte schwer misshandelt.

Weitere Ausbruchsversuche von Hadelin Denis in Rotenburg:

- März 1942 über den Dachboden der Jakob-Grimm-Schule

- Juli 1942 durch einen Tunnel

- Juli 1942 durch Heraussteigen aus einem Fenster mit Hilfe von Stricken

 

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Sechs vergebliche Fluchtversuche von Alfred Devyver

 

Der bereits genannte Alfred Devyver, Leutnant in der belgischen Kavallerie, war in Sachen "Flucht aus dem Oflag Rotenburg" der Meister seines Faches. Er war am 28. Mai 1940 nach Rotenburg gekommen. Am 24. August 1942 ist seine Einlieferung asl "bad boy"  in das Kriegsgefangenenlager auf Schloss Colditz (südlich von Leipzig) registriert.

In Rotenburg begann Alfred Devyvers Karriere als sog. „Berufsausbrecher“. Diese Kennzeichnung gab ihm der belgische Kriegsveteranenforscher Didier Pentzeele, der auch Devyvers Kompagnon Denis Hadelin diesen Titel verlieh. Die folgenden Zitate stammen aus dem 1998 veröffentlichten Buch von Didier Pontzeele mit dem Titel "Krijgsgevangen !"  (Übersetzung aus dem Flämischen: H. Nuhn)

 

„Mein erster Versuch - zusammen mit Denis Hadelin - war Anfang September 1941. Mitten auf dem Hof des Lagers stand ein kleiner Bau, der zur Aufbewahrung von allerlei Material diente. Nachdem wir (falsche) Schlüssel hergestellt hatten, konnten wir von dieser Baracke aus mit dem Graben eines Tunnels beginnen, der uns unter dem Stacheldrahtverhau hindurch bringen sollte. Unser Tunnel sollte so etwa 20 Meter lang werden, aber nach drei Wochen Arbeit wurde er leider durch deutsche Arbeiter entdeckt. Resultat: Unser gesamtes Material wurde in Beschlag genommen und wir kamen 15 Tage in Einzelhaft."

 

"Mein zweiter Fluchtversuch datiert von Ende September 1941. Ich hatte einen Plan ausgearbeitet, der darin bestand, mit einem in das Lager geschmuggelten Zängchen den Stacheldraht durchzuschneiden. Leider wurde mein Werkzeug durch den Kontrolleur in einem für mich bestimmten Päckchen gefunden.

Das Resultat: 21 Tage Einzelhaft."

 

"Mein dritter Versuch lief wieder zusammen mit Hadelin Denis, und zwar im Herbst 1941. Eine gründliche Untersuchung führte uns zu der Annahme, dass wir über den Dachboden des Hauptgebäudes und einem Teilstück, das dem Wachpersonal vorbehalten war, einen zweiten Ausgang aus dem Gebäude erreichen könnten. Nachdem wir drei Türen auf dem Dachboden aufgebrochen hatten, kamen wir an eine letzte Tür, die wir zu öffnen probierten. Leider wurden wir durch ein Alarmsignal im Türschloss verraten.

Das Resultat: Drei Wochen Einzelhaft."

 

Devyver, so der Kriegsveteranenforscher Diedier Pentzeele, ist noch nicht zu Ende mit seinem Latein:

„Im Januar 1942 grub ich mit Hadelin Denis und einem Mitgefangenen namens Henan einen Tunnel. Nach vier Wochen wurde ich von einem deutschen Arbeiter ertappt. Der Mann brachte mich zurück ins Wachtzimmer, aber unterwegs konnte ich weglaufen und unbemerkt zurück in das Lager gelangen. Von der (deutschen) Abwehr wurde ich aufgesucht und dem Arbeiter gegenübergestellt, aber dieser erkannte mich glücklicherweise nicht, sodass ich einer neuen Strafe entging."

 

"Im März dieses Jahres (1942) baute ich wieder einen Tunnel – zusammen mit Hauptmann Veghen und Vizeleutnant De Saint Hubert. Nach 24 Tagen Arbeit wurden meine zwei Kompagnons entdeckt. Ich wurde festgenommen und verhört, doch man fand keine Beweise gegen mich."

 

"Ende Juni 1942 wurde mir in einem Päckchen aus Belgien aufs Neue eine Kneifzange zugeschickt. Ich wollte die Absperrung an einer Stelle durchtrennen, die einigermaßen außerhalb der Sicht von den Wachtürmen lag. In einer dunklen Nacht gelangte ich aus unserem Gebäude und schlich mich zu der von mir ausgewählten Stelle hin. Ich schaffte es, die Drähte dort durchzutrennen und an dieser Stelle nach draußen zu rutschen. Aber bereits nach einigen Schritten fing ein Wachhund an zu bellen und sogleich wurden die Scheinwerfer auf den Wachttürmen eingeschaltet, sodass man mich sehen konnte. Ich wurde sofort durch eine Patrouille abgeholt.

Das Resultat: Drei Wochen Einzelhaft.“

 

Und noch immer gab Devyver nicht auf. Pontzeele zitiert ihn mit folgender Aussage:

„Im Juli 1942 hatte ich, wiederum mit Hadelin Denis, einen Plan erstellt, dass es gelingen müsste, durch die Wohnung des Kommandanten das Lager zu verlassen. Wieder wurden wir entdeckt und bestraft. Diesmal mit 10 Tagen Einzelhaft und Wechsel am 25. August 1942 nach Colditz."

 

Schon einen Monat später, am 21. September 1942, unternahm Devyver in Colditz einen erneuten Ausbruchsversuch, der aber ebenso scheiterte wie seine sechs Fluchtversuche in Rotenburg.

 

Devyvers sieben Anläufe, der Gefangenschaft zu entfliehen, scheiterten zwar, in seiner belgischen Heimat aber wurde er als Kriegsheld gefeiert und siebenfach mit nationalen Auszeichnungen geehrt:

- *Medaille der militärischen Kämpfer

- *militärisches Ehrenzeichen 1. Klasse mit Palmen

- *Widerstandsmedaille

- *Kriegskreuz von 1940 mit Palmen

- *Ritter des Kronenordens mit Palmen

- *Gedenkmedaille 1940-1945 mit 2 gekreuzten Säbeln

- *Kriegsgefangenenmedaille mit fünf Stäben