Speisekarte für die Weihnachtstage 1943 im OFLAG IX A/Z Rotenburg a. d. F.

 

Die im Dezember 1943 an der Anschlagtafel des Rotenburger Offizierslager aufgehängte Speisekarte war als Aquarell von dem britischen Major Frederick Gray gestaltet worden, der das Bild im Januar 1944 nach Hause schickte.

 

Nach 1945 wurden Reproduktionen angefertigt, eine davon gelangte zur Familie des ehemaligen Rotenburger kriegsgefangenen Hauptmann John Dibblee. Seine Tochter schickte ein Foto, das uns die Darstellung ermöglicht.

 

John Dibblee sah in dem Aquarell die Absicht des Künstlers, bei den hungernden Mitgefangenen die Illusion zu erzeugen, sie könnten die erlesenen Speisen tatsächlich verzehren. Die illustriert

dargestellten Menüs würde ihnen das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen und

weihnachtliche Stimmung erzeugen.

 

Dibblee machte deutlich, dass die tatsächlichen "Festmahlzeiten" nichts mit Grays Speisekarte zu tun hatten. Beispielsweise bestand die zum Frühstück angebotene Eierspeise lediglich aus Eipulver aus der Konservendose. Dass eine solche Speise überhaupt auf die Karte gelangen konnte, war den regelmäßigen

Lebensmittelpaketen durch das Rote Kreuz ihres Landes zu verdanken, deren Fahnen demzufolge markant über der Speisenfolge platziert sind.

 

In den humoristischen Karikaturen, die um die Tagesmenüs gesetzt sind, finden sich ironisierende Reaktionen auf die kärgliche Lagerkost. Zum Beispiel wird frisches Gemüse (FRESH VEGETABLES) durch eine lüsterne alte Zwiebel dargestellt, die mit aufreizenden Gebärden einen weibliche Züge tragenden Lauchstengel umschlingt. Und das Obst für den Fruchtkompott (STEWED FRUIT) kommt von zwei vergammelten Typen in Birnenform, die sich gegenseitig und an einem Laternenpfahl abstützen müssen.


Der Inhalt des Sackes, den der Weihnachtsmann entleert, besteht im Wesentlichen aus den vom Roten Kreuz gelieferten Konserven, welche nötig waren, um die von den Deutschen bereit gestellten Lebensmittel einigermaßen zu ergänzen. Demgemäß wird die Speisekarte auch von den drei Hauptinhalten der „Liebespakete“ des Roten Kreuzes bekrönt, nämlich

- von PRINCE EGG für das in Dosen gelieferte Eipulver,

- von KING BULLY für Corned Beef (damals Bully Beef) und

- von QUEEN NESTLÉ für Milchpulver in Dosen.

 

Das im Dezember 1943 in Rotenburg entstandene CHRISTMAS MENU MCMXLIII wurde Teil einer virtuellen Ausstellung mit dem Titel „A History of the World“, die das British Museum in Kooperation mit der BBC im Internet präsentierte. Die Rotenburger Speisekarte diente der virtuellen Ausstellung als Beispiel dafür, dass und wie Mangelverpflegung von britischen Kriegsgefangenen mit Ironie begegnet wurde.